Ich habe unzählige Genitalien im Laufe von fast 15 Jahren Sexarbeit berührt.
Liebevoll, achtsam, spielerisch, fordernd, sexy, geil und immer in Unterstützung für ihre volle Würde, Größe und Potenz.
Aber ich habe es noch nie unterrichtet – bis jetzt.
Eine Nachlese des Vulva Massage Workshops.
Der erste Intimmassage Workshop in „Marlen’s World“!
Genitalien massieren – warum gibt es kein poetischeres Wort im Deutschen für unsere Lustorgane? Sie wollen berührt und geehrt werden, liebevoll bespielt. Aber wie?
Ich unterrichte seit über 10 Jahren sexpositive Workshops, und doch war es der erste seiner Art. Ich wollte eigentlich einen Post für Social Media Post schreiben, im Nachgang. Aber die Nachlese war reichhaltiger. Dieser Text hat etwas mit Genitalien, liebevoller Berührung, Trauma, Heilung und Lust zu tun.
Wer mich kennt, weiß, dass meine Arbeit nicht nur BDSM und Play ist, sondern auch feine, traumasensible Spürarbeit sein kann. Zu mir kommen viele Menschen, die mit Kink nichts am Hut haben, sondern die einfach „nur“ liebevoll und achtsam berührt werden wollen – und zwar auch in ihrer Lust. Auch das kann eine Grenzerfahrung sein.
Diese Menschen kommen zum Beispiel, weil …
- sie nach Trauma ihr Toleranzfenster für Sexualität öffnen wollen
- sie dem „Sex-Autopiloten“ entrinnen und sich taube Anteile wieder aneignen wollen
- für sie „ganz normaler“, also penetrativer Heterosex keine Option (mehr) ist und die Alternativen für ihre Lust suchen (z. B. wegen ausbleibender Erektion, OP, Hormonveränderungen u.a.)
- sie sog. „Absolute Beginners“ sind, also Menschen, die noch keine oder wenig sexuelle Erfahrungen gemacht haben und schlicht Lernen wollen: Wie geht Sex?
- sie einfach nur genießen wollen 🙂
Ich habe also in fast 15 Jahren Sexarbeit unzählige Genitalien berührt. Liebevoll, achtsam, spielerisch, fordernd, sexy, geil und immer in Unterstützung für ihre volle Würde, Größe und Potenz, Genitalien jeder denkbaren Geschlechtsidentität oder äußerer Ausprägung. Penisse, Vulven, trans* Genitalien, nichtbinäre Genitalien…
Ich habe mal versucht, sie zu zählen. Ich habe aufgegeben. Es müssen hunderte, ja tausende Genitalien gewesen sein, die durch und mit meinen Händen in Selbsterfahrung, Lust und Ekstase geraten sind.
Der schmale Grat zwischen heilig und profan, zwischen geil und heilsam ist manchmal gar nicht leicht zu erkennen. Lust ist heilsam, davon bin ich überzeugt, und sie kommt in vielen Gewändern – mal ist es auch ein emotionaler Durchbruch, weil auch etwas in der Tiefe berührt wird. Mal ist es einfach „nur“ Geilheit – und das kann auch ein integraler Akt der Selbstermächtigung sein!
Das allein ist schon einen Post wert, aber es kommt noch was.
Dass ich die Genitalien, und auch die Orgasmen nicht zählen kann, ist an sich schon kurios, aber noch eigentümlicher ist, dass ich diesen sehr zentralen Teil meiner Arbeit noch nicht unterrichtet habe. Seit über 10 Jahren gebe ich sexpositive Workshops, aber darum habe ich immer einen Bogen gemacht.
Vielleicht dachte ich, dass es das schon genug gibt: die Sexeducational World ist voll von Workshops zu Vulven- und Penismassage, „Handarbeits-“ und „Handwerker-“ Kurse (meist fein säuberlich zwischen Männchen und Weibchen getrennt) und Seminaren zur Tantramassage).
Workshopzeit ist kostbar und ich habe mich mit den gefühlt 200 anderen Arten, Sex zu haben, befasst, denn die werden meines Erachtens zu wenig unterrichtet.
Ich bin sehr froh, dass ich am letzten Wochenende diesen ausweichenden Bogen beendet und meinen ersten Intimmassage Workshop unterrichtet habe. In dem Fall für Vulven, Muschis, Mösen und ihnen verwandte Genitalien. Frauen, trans*, inter und nicht binäre Menschen haben an diesem Wochenende ihre Vulva* betrachtet, entdeckt, mit den Händen fühlend und mit den Augen. Verstanden, etwas Theoretisches über sie gelernt, ihre Spürlandkarte neu vermessen, neue Fühlräume erobert.
Allein, mit sich selbst, zu zweit in Form einer langsamen und liebevollen Massage, die auch in die Lust führen durfte. Die wichtigsten Tools: Präsenz, Resonanz und Kommunikation. Und am Ende gab es noch ein „Vulventheater“ mit Performances!
Dieser Workshop ist abgegangen wie eine Rakete. Wie meine ich das? Da ich BDSM praktiziere und unterrichte, bin ich gewohnt, dass Schmerz und Lust nah beieinander liegen und ich kann auch hohe Energien im Raum händeln. Aber so konkret mit vielen Menschen im Raum in die Lust zu gehen, war eine unfassbare Erfahrung und hat mich auch als Gruppenleiterin nochmal neu geschult.
Ich weiß es aus unmittelbarer Erfahrung: dort wo die größte Lust liegt, ist eben auch manchmal der größte Schmerz. Das heißt, im gleichen Raum sind Menschen extrem und laut in ihre Lust gegangen, drängten voran in die Grenzenlosigkeit des Orgasmus, während andere in feiner sensibler Arbeit an ihre Grenzen gestoßen sind und auch die Trauer darum oder auch ein Schmerz Platz haben wollte.
Scham, Schuld, Befreiung, das Bedürfnis nach Entladung und die Sehnsucht nach Sicherheit – sie waren alle gleichzeitig im Raum und auch manchmal nebeneinander in einer Person.
Es war ein bisschen wie ein Tanz auf dem Vulkan, und ich bin froh und glücklich, dass ich immer wieder im Vertrauen war, dass all diese Prozesse ihren Platz finden – und dass niemand „über Board“ geht. Denn wo Resonanz ist in einer Gruppe, da ist klar: niemand muss das allein machen. Kein Schmerz muss einsam prozessiert werden, denn alle Themen sind zutiefst menschlich. Im Mitgefühl, mit Resonanz wird das eigene Thema leichter.
Viele Schmerzen rühren aus kollektiven Wunden, und die Scham ist eine Erbkrankheit, die wir alle in uns tragen, Scham ist gleichsam Teil unserer DNA, daher können wir uns auch so gut darin unterstützen, sie anzunehmen und auch mal zu überwinden.
We are all walking each other home.
Und deshalb ist es wunderbar, groß und richtig, wenn all diese Kräfte in einem Raum wirken dürfen, auch wenn es herausfordernd ist. Es darf groß sein und laut, fulminant und erfreulich – und leise, nach innen, mit Bedauern oder Wut. Weil wir all das sein dürfen. So geht Leben.
Da wo Verkrustetes sich lösen, Eingefrorenes schmelzen darf, da wo Lebendigkeit spürbar wird, da dürfen auch Tränen fließen.
Und manchmal ist eben nicht ganz klar: sind es Freudentränen oder Trauer oder Schmerz oder beides?
Wir haben an diesem Wochenende in vielfältigen Körperflüssigkeiten gebadet, es hat gerauscht und wir sind berauscht, es war ein fließendes Fest, in aller Freundschaft untereinander und mit den Anteilen, die wir verkörpern.
Ich bin froh und beseelt.
Es darf im Fluss sein, Intuition, Liebe, Geilheit, Trauer, Sehnsucht, Verbundenheit, Humor und Heilung. Sie sitzen alle in einem Boot.
Und ja, es wird weiterhin INTIM- Workshops geben in Marlen’s World. Für alle Genitalien, für jedes Geschlecht!
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